Rollenspiel

Zum PSO-Tag in Bad Nauheim am 30. September 2000

Selbsthilfe im Alltag

 

Wartezimmer Dr. ........

 

Jedes Wiedererkennen von Begebenheiten ist nicht zufällig, sondern gewollt und von den Betroffenen genehmigt, im Rollenspiel aber, in die "Ich" Form umgesetzt.

Hallo Annegret, hast du auch einen Termin? Hier habe ich dich ja noch nie gesehen.

Ja, ich muss mich unbedingt mal wieder meinem Hautarzt vorstellen, nachdem ich 6 schöne Wochen in einer Hautklinik gehabt habe.

Wieso schöne Wochen, ich denke eine Behandlung ist harte Arbeit?

Das sagst du! Mein früherer Hautarzt und meine Kollegen sind da anderer Meinung.

Bei unserem letzten Treffen sagtest du mir noch, die Krankenkasse wollte den Aufenthalt nicht bezahlen.

Nachdem ich dem Sachbearbeiter angeboten habe, ihn nackend in Begleitung der Presse aufzusuchen, wurde ein Klinikaufenthalt genehmigt.

War die Behandlung erfolgreich?

Agi, ich bin begeistert. Endlich bin ich mal wieder erscheinungsfrei. Ich genieße dieses völlig neue Lebensgefühl und möchte diesen Zustand möglichst lange erhalten.

Das hört sich sehr gut an. Du wirkst richtig locker.

In einer Klinik werden dir nicht nur Therapien und Pflege der Haut vermittelt. Da erhältst du wichtige Informationen über die Erkrankung und den Umgang mit ihr.

Ja, in der Klinik gibt es die Möglichkeit. Der Arzt hier hat doch so wenig (selten) Zeit für ein ausführliches Gespräch. Und dann benutzt er so viele Fachausdrücke, dass ich hinterher gar nichts mehr weiß.

Da muss ich dir recht geben.

Hoffentlich dauert es heute nicht so lange, ich habe noch einen weiteren Termin.

Agi, hier gibt es selten längere Wartezeiten.

Ich war neulich beim Rheumatologen und musste trotz Termin über 1 1/2 Stunden warten. Als ich mich meldete wurde ich mit dem Kommentar abgespeist, "Sie sind doch Rentnerin und haben sicher Zeit." Dass mich mein Mann begleitet hat und dafür Freizeit nimmt, hat niemanden interessiert.Ach, jetzt lass ich mich schon wieder auf die Jammerei ein. Aber irgendwie muss ich meinen Frust ja auch los werden.

Warum bist du denn heute hier?

Ich muss unbedingt mit dem Arzt reden. Ich habe einen Rehaantrag bei meiner Krankenkasse gestellt. Stell Dir vor, was mir beim Medizinischen Dienst passiert ist. Ich wollte mich für eine Untersuchung ausziehen, da sagt der Arzt zu mir: "Um Gottes Willen, ziehen Sie sich nicht aus, ich kann das nicht sehen ." Ich war wie vor den Kopf gestoßen, wie soll ein Gutachten entstehen, wenn der Arzt sich eine Schuppenflechte nicht ansehen kann.

Das war sicher kein Hautarzt.

Nein, das war er nicht. Im nachhinein habe ich erfahren, es war ein Neurologe. Die Äußerung hat mich tief getroffen, sogar verletzt. Ich fühle mich von niemandem mehr verstanden und ernst genommen.

Deinen Äußerungen entnehme ich große Enttäuschung, Hilflosigkeit und Resignation.

Ja, ja, aber überall liest man:

"Der Patient steht im Mittelpunkt",

entweder steht er jedem im Wege oder aber, alle versuchen um ihn herumzukommen.

Agi, wie es dir heute geht erging es mir vor 12 Jahren. Ich war völlig verzweifelt. Alles drehte sich nur noch um meine Haut. Plötzlich kam mir der Gedanke eine Selbsthilfegruppe zu gründen.

Hast du schon mal an Selbsthilfe gedacht?

Auch so ein Wort "Selbsthilfe", hilf dir selbst. Was soll das? Die helfende Hand gibt es doch sowieso nur am eigenen Arm.

Bist du schon mal in eine Selbsthilfegruppe gegangen?

Ach, da bekomme ich doch nur schlaue Ratschläge.

Ich habe es damals als sehr wohltuend empfunden, meine Erfahrungen mit anderen Erkrankten auszutauschen. Ich wurde ernst genommen. Bereits der erste Abend in der Gruppe gab mir Halt.

Ja, ja, ja! "Alle haben gute Ratschläge gegen meine Krankheit, nur ich muss mit ihr leben."

Komm doch mal zu mir in die Gruppe. Da triffst du auf Menschen, die dir zuhören. Hier findest du Verständnis. Schnell wirst du erfahren, dass du mit der Krankheit nicht alleine bist.

Meinst du, das hilft wirklich?

Ich sagte es bereits, die Erfahrung habe ich vor ein paar Jahren persönlich gemacht. Ein erster wichtiger Schritt ist, selbst etwas zu tun. Du solltest dich fragen, was kann ich für meine Haut tun und nicht was kann ich gegen meine Krankheit tun. Gegen heißt Kampf und den verlierst du. Versuch gemeinsam mit deinem Arzt die für dich richtige Therapie herauszufinden.

Ja, ja, der schreibt auch nur was auf und dann lässt er mich mit einer schmierigen Salbe alleine.

Auch diese Problematik wird in der Gruppe besprochen.

In der Regenbogenpresse findet man doch fast jede Woche ein neues Medikament oder eine Behandlungsmethode die "Das Wundermittel" schlechthin ist.

Wundermittel gegen die Schuppenflechte gibt es nicht. Wir sollten auf gar keinen Fall, jeder Erfindung nachrennen.

Was macht Ihr denn sonst noch in der Gruppe?

Informations- und Erfahrungsaustausch stehen im Vordergrund.
Bei Bedarf stehen uns Hautärzte und Berater der Krankenkasse zur Verfügung.
2 x jährlich bieten wir eine öffentliche Vortragsveranstaltung mit Fachärzten an.
Wir stehen 1 x jährlich mit einem Infostand in der Fußgängerzone um Betroffene und Nichtbetroffene zu informieren bzw. die Öffentlichkeit aufzuklären.
Wir besichtigen gemeinsam mit anderen Regionalgruppen Fachkliniken.
Wir gehen schwimmen. Auch gemeinsame Theaterbesuche haben ihren Platz.

Wie läuft denn so ein Abend mit einem Facharzt ab?

Vor einigen Wochen hat ein Hautarzt in unserer Gruppe einen Vortrag über Erscheinungsformen und Therapiemöglichkeiten der Schuppenflechte gehalten. Anschließend fand eine lebhafte Diskussion statt. Der Arzt hat sich sehr viel Zeit genommen und all unsere Fragen ausführlich beantwortet. Nun verstehen wir viel mehr.

Ich finde es lästig, wenn ich bei meiner Friseuse jedes mal von Neuem erklären muss, dass ich eine Schuppenflechte auf dem Kopf habe.

Dann solltest du deine Friseuse informieren, dass eine Schuppenflechte eine nicht ansteckende Hauterkrankung ist.

Was soll ich da reden, ich weiß ja selber so wenig darüber.

Das ist ein weiterer Grund in die Gruppe zu gehen hier erhältst du wichtige Tipps für derartige Gespräche. Mehr Wissen über deine Krankheit gibt dir mehr Sicherheit, auch im Umgang mit Ärzten und Krankenkassen. Ein informierter Patient geht anders mit sich und seinem Umfeld um.

Informationen kann ich gut gebrauchen. Einen Erfahrungsaustausch in einem Kreis Betroffener kann ich mir noch nicht so richtig vorstellen.

Komm doch einfach in die Gruppe um einmal zuzuhören. Früher stand ich mit meinen schlechten Erfahrungen alleine. Heute hilft mir die Gruppe, und sei es mit einem gemeinsamen befreienden Lachen.

Nun machst du mich aber neugierig! Hast du schon mal was mit Menschen unternommen, die keine Psoriasis haben?

Ich genieße es inzwischen, mich mit Menschen zu treffen, die keine Psoriasis haben. Ich freue mich, dass mich Freunde einladen, auch wenn ich Schuppen hinterlasse. Ich habe meine Krankheit akzeptiert. Das nimmt mir den Leidensdruck. Ich versuche einfach mehr an der PSO vorbei zu leben.

Annegret, beim nächsten Treffen bin ich dabei.

Lass mich ein paar wichtige Punkte der Selbsthilfe aufzählen :

Meine Gelenkbeteiligung wurde bereits anerkannt. Aber mit einer Erhöhung des GdB habe ich jetzt Schwierigkeiten.

Inzwischen hast du mich überzeugt, dass ich selbst etwas tun muss. Als erstes werde ich mich jetzt informieren. Ich werde mit meinem Arzt reden und um Hilfe bei der Antragstellung bitten. Ich werde in die Selbsthilfegruppe gehen und hören wie andere Betroffene ihre Probleme bewältigen, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen.

Außerhalb der regelmäßigen Treffen kannst du auch Gruppenmitglieder anrufen und dich informieren.

Meinst du, ich schaffe es, auch eine Gruppe ins Leben zu rufen und andere zu informieren?

Ich helfe dir gerne weiter, wenn du in deiner Region eine eigene Gruppe aufbauen willst. Der DPB bietet seinen Kontaktpersonen und Regionalgruppenleitern in Abständen Schulungen an. Da erhältst du Informationen über alle Möglichkeiten der Behandlung und wirst auch dort schnell erkennen welche Behandlungen sinnvoll sind.

Ich fasse einmal zusammen:

Selbsthilfe ist eine freiwillige, unentgeltliche, auf Solidarität Gleichbetroffener beruhenden Dienstleistung am Nächsten. Der Betroffene wird rasch zum Experten in eigener Sache mit realistischem Blick für das Machbare - auch wenn dies bis heute kaum ein Beteiligter im Gesundheitswesen wahrhaben will. Selbsthilfe repräsentiert die "erlebte Kompetenz", also jenes Wissen, das hilft, den Alltag trotz sozialer und/oder gesundheitlicher Problemlagen im Leben zu meistern. Sie ergänzt sich vortrefflich zur "erlernten Kompetenz" der Medizin, der Sozialwissenschaft und -pädagogik und anderer theoretischer Einsichten.

Das ist also Selbsthilfe?

Nein, sie ist in Wirklichkeit bunter, lebendiger, vielfältiger, in kein Schema zu pressen. Sicher: der Gedanke der Selbsthilfe ("Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner") ist nicht neu. Doch die Hinwendung dieser Menschen zu diesem Gedanken kommt einer neuen sozialen Bewegung gleich, die Antworten auf neue Fragen sucht und wohl auch vermittelt. Diese Fragen kreisen letztlich um die Alltagbewältigung von schwierigen gesundheitlichen und sozialen Lebenslagen.

Was leistet da die Selbsthilfe?

Sie ist jener Raum, wo - oftmals erstmals - eine persönliche, offene und vertrauensvolle Auseinandersetzung mit dieser Lebenssituation stattfinden kann, wo das Zuhören und das Verständnis im Vordergrund stehen, ein Austausch und eine gegenseitige Beratung füreinander individuell erfahrbar wird. Das sind jene Faktoren, die eine Lebensqualität trotz bzw. mit der chronischen Erkrankung oder einer sozialen Benachteiligung erlauben.

Dieses Wissen und diese Fähigkeiten nach außen zu tragen, es zu einer Informationsdienstleistung in Sachen Aufklärung und Interessenvertretung weiter zu entwickeln - auch das sind unübersehbare Zeichen einer Leistung der Selbsthilfe. Dadurch wird auf Dauer der Betroffene ernster genommen und erfährt jene Zuwendung, die er tatsächlich braucht- und jetzt nicht erhält.

Wir hatten gerade die Kölner Gesundheitstage, da sind mir folgende Sätze aufgefallen:

Selbsthilfe fängt alles auf,
aber nur, wenn du dir selber hilfst.
Wege der Selbsthilfe werden dir gezeigt,
gehen musst du sie selber.

Agi Berger, Köln
Annegret Meyer, Stade

 

zurück ¦ Homepage ¦